Konstruktive Phänomenologie –
Der Fotograf Jörg Steinbach
Seit ihren historischen Anfängen lebt die Fotografie vom Versprechen, das, was ist, sich selbst zeigen zu lassen. Die besondere Kraft, mit der der Fotografie dieses Versprechen aufgrund ihres automatischen Charakters mitgegeben ist, kann jedoch nicht über die verwirrende Einsicht hinwegtäuschen, dass nur Bilder zeigen können, was da ist. Gerade auch die Idee, dass sich etwas von selbst und an ihm selbst zeigen soll, verweist auf Verfahren, die dieses Sichzeigen ermöglichen und sicherstellen können. Jörg Steinbachs Fotografien arbeiten an und vor diesem Rätsel: dass nur Bilder zeigen können, wie sich etwas von selbst her zeigt. Der Gestus, den die großen Bildserien der letzten Jahre bezeugen, ist dabei ein doppelter. Auf der einen Seite weiss Steinbach, dass weder die Subjektivierung der Perspektive noch eine scheinbar objektive Dokumentation ihn seiner Aufgabe näherbringen können. Anstelle jeder Unmittelbarkeitsrhetorik dient allein das Plus an konzentrierter Vermittlung dem, was schon ist. In dieser Hinsicht ist Steinbachs Haltung eine konzeptionalistische oder konstruktivistische. Die reflexive Orientierung an Darstellungsverfahren, konstruktiven Strukturen und rhetorischen Figuren führt Steinbach zu mitunter äußerst komplexen Versuchsanordnungen. Andererseits ist Steinbachs Zugriff aber auch durch große Einfachheit gekennzeichnet. Diese Einfachheit entstammt einer Art Hingabe an das (Vor-)gegebene. Am deutlichsten prägt sich die Haltung ausdrücklicher Passivität in der Rolle aus, die Steinbach in seinen Bildserien dem thematischen Impuls, dem Nichtkontrollierbaren und der sinnlichen Textur einräumt. Sie steht der konstruktiven Komplexität nicht als Gegenpol gegenüber, sondern integriert sich ihr, etwa in der radikalen Offenheit mancher Versuchsanordnung oder im gezielten Verpuffen von gedanklichem und technischem Aufwand. Ihre verbindende Mitte finden das dialektisch-konstruktive und das phänomenologisch-hinnehmende Motiv in Steinbachs Verhältnis zur fotografischen Technik. In der Präzision des apparativen Aufbaus und der forschenden Kompetenz im Umgang mit Mitteln und Hilfsmitteln, im Auftauchen des Bildes auf der Platte oder im Entwicklerbad mit allen Unvorhersehbarkeiten gewinnen Steinbachs Motive materiale Entsprechungen.
So geschlossen die Arbeit Steinbachs also von der Grundhaltung her auftritt, so vielfältig sind die ästhetischen Profile der einzelnen Fotoserien und deren inhaltliche Horizonte. Die im Folgenden den einzelnen Serien zugeordneten Interpretationsversuche – sie gehen auf Gespräche im Sommer 2018 zurück – dokumentieren eine außerordentliche Breite im thematischen und ästhetischen Zugriff:
Die Serie mit dem bretonischen Titel l’heol et l’ankou führt vor die mythische Verknüpfung von Empfängnis und Tod. Landschaften, Stadtlandschaften – Mallorca lässt Fremdheit als Bedingung für Wahrheit aufscheinen. Die Serie Berlin – Brest eröffnet eine überraschende Gestalt von Freude. With Love From Paris kann als Etüde über die Mechanismen nicht intendierter Erfüllungen gelesen werden. Die Portraitserie Auf Augenhöhe ist der Zurückhaltung, dem Zurücktreten-vor gewidmet. Das Set Vor-Bild lotet aus, wie sich Begehren, Tod und Künstlichkeit miteinander verschränken können.
Thilo Billmeier
[/wc_center]